Billig aber gefährlich: Temu verkauft Güter, die in der EU illegal sind (2024)

Der chinesische Onlineshop Temu wird in der Schweiz und in Deutschland immer beliebter. Die Firma dahinter hatte bereits in China Erfolg. Aber manche Produkte entpuppen sich als gefährlich.

Gioia da Silva, Katrin Büchenbacher

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Billig aber gefährlich: Temu verkauft Güter, die in der EU illegal sind (1)

Kopfhörer für 4 Franken 04. Eine Smartwatch für 15 Euro 99. Turnschuhe für 7 Franken 88. Temu, die chinesische Onlineplattform, lockt seit wenigen Monaten mit unschlagbaren Billigangeboten. Jetzt, in der Vorweihnachtszeit, kommt aggressives Marketing dazu: Sucht man im Moment nach einem Produkt auf Google oder klickt sich durch eine App, begegnet einem immer öfter Werbung für Temu-Ware.

Wer ahnte, dass solche Ware fragwürdig sein könnte, der bekommt jetzt Bestätigung. Mehrere Produktetests haben ergeben, dass über die Plattform Güter vermarktet werden, die in der EU illegal sind. Die Sendung «Servicezeit» des deutschen Nachrichtenkanals WDR liess sich mehrere Produkte liefern und unterzog sie den Sicherheitskontrollen der deutschen Bundesnetzagentur.

Das Resultat schockiert: Nebst einem Autotüröffner, der auf einer in Deutschland verbotenen Militärfrequenz funkt, und einem Smoothie-Gerät, bei dem das Messer ungeschützt eingeschaltet werden kann, fand das Testinstitut einen Dampfgarer, der keine Schutzleiter im Stecker hat. Das kann einen Stromschlag auslösen. Solche Geräte müssen für die EU eine Zertifizierung erwerben. Jene auf dem Dampfgarer war gefälscht.

EU-Grenzwert um das Vierzigfache überschritten

Auch der Bayerische Rundfunk bestellte für die Sendung «PULS Reportage» mehrere Produkte bei Temu und schickte sie an den Technischen Überwachungsverein (TÜV), die Prüforganisation, die in Deutschland Produkte auf Schadstoffe und Sicherheitsstandards testet. In den Knöpfen eines Poloshirts fand der TÜV den Schadstoff DBP in einer Dosis, die das Vierzigfache des europäischen Grenzwerts beträgt. Der Weichmacher gefährdet die Fortpflanzungsfähigkeit, senkt bei Männern den Testoster­onspiegel, die Zahl der Spermien und kann sogar das Kind im Mutterleib schädigen.

Weiter fehlte einer Smartwatch eine Schutzeinrichtung: Entlädt sich die Batterie stark, könnte sie sich beim erneuten Laden entzünden. Zwar haftet der Hersteller für den Schaden, der sein Produkt verursacht, aber dass eine chinesische Billigwarenfabrik – falls sie überhaupt als Herstellerin bekannt ist – tatsächlich auf eine Forderung eines europäischen Kunden reagiert, darf bezweifelt werden.

Vor diesem Hintergrund schreibt der Schweizer Konsumentenschutz auf Anfrage: «Bei Plattformen wie Temu, AliExpress und Wish empfehlen wir aus Sicherheitsgründen, auf Käufe von Elektrogeräten zu verzichten.»

Viele Produkte in sehr schlechter Qualität

Abgesehen von gefährlichen Elektronikgütern wurden den Testern weiter Sportschuhe geliefert, die quietschten, Kopfhörer, die Musik schlecht wiedergaben, und mehrere Produkte, die kleiner waren, als sie auf den Fotos im Onlineshop zu sein schienen.

Temu schreibt auf Anfrage: «Wir nehmen die Sicherheit und Qualität unserer Produkte sehr ernst.» Man stelle fest, «dass es zwar Berichte und Artikel über unsichere Produkte gegeben hat, diese Vorfälle aber nicht für unseren gesamten Katalog stehen». Weiter gelobt der Onlinehändler, seine «strengen Sicherheitskontrollen und Massnahmen zur Einhaltung der Vorschriften» ständig zu verbessern.

Direktimporte: rechtliche Situation in Deutschland und der Schweiz

In der EU ist das Anbieten von Waren verboten, die EU-Sicherheitsanforderungen nicht erfüllen. Das sagt die Marktüberwachungsverordnung, die seit Juli 2021 gilt. Produkte, die keine Marktzulassung haben, können am Zoll abgefangen werden. Es kann also sein, dass eine Temu-Bestellung im Zweifelsfall gar nicht erst bei den Kunden ankommt.

In der Schweiz existiert laut Schweizer Konsumentenschutz kein Gesetz, das die Anpreisung von Waren verbietet, die Sicherheitsanforderungen nicht erfüllen. Private Onlinebestellungen werden nicht auf Konformität mit den Schweizer Sicherheitsanforderungen überprüft.

«Zusammen noch mehr kaufen»

Hinter Temu steckt der grösste Onlinehändler aus China, PDD Holdings. Das steht für Pinduoduo, was so viel heisst wie «zusammen noch mehr kaufen». PDD hat einen höheren Firmenwert als der E-Commerce-Gigant Alibaba – dabei gibt es die Firma erst seit 2015.

Die Strategie der Shopping-App Pinduoduo ist dieselbe, die jetzt auch Temu in Europa verfolgt: die niedrigsten Preise auf dem Markt, aggressives Marketing, eine App, die mit unglaublichen Rabatten lockt, und gratis Produkte für Kunden, die ihre Freunde zum Einkaufen animieren.

Viele Waren auf der Plattform sind «No-Name», also keinen Marken zugeordnet, und kommen aus kleinen, unbekannten Fabriken, die direkt, ohne Zwischenhändler, auf der Plattform verkaufen. Damit ist es Pinduoduo gelungen, Hunderte Millionen von ärmeren Konsumenten auf dem Land und die preisbewusste ältere Bevölkerung in China zum Onlineshopping zu bewegen.

Anfangs subventionierte Pinduoduo sogar Bestellungen, um Kunden zu akquirieren. Im Ausland will die Firma nun schnell an Marktanteilen zulegen gegenüber dem Konkurrenten Amazon, auch wenn das Geschäft zunächst Verluste einfahren sollte.

Angestellte leiden unter dem Kostendruck

Wie stark der Kostendruck die Angestellten von Pinduoduo belastet, wurde im Januar 2021 bekannt, nachdem zwei Angestellte der Firma zu Tode gekommen waren: Im Dezember 2020 brach die 22-jährige Zhang Fei auf ihrem Heimweg um 1 Uhr 30 am Morgen zusammen. Sie hatte an einem Rabatt-Projekt für die Firma gearbeitet. Zwei Wochen später stürzte sich ein Ingenieur der Firma aus einem Hochhaus.

Kurz darauf meldete sich ein ehemaliger Angestellter von Pinduoduo zu Wort. Er veröffentlichte ein Foto eines Kollegen, der nach einem Kollaps bei der Arbeit von der Ambulanz abgeholt werden musste, und kritisierte die Firma für eine extrem harte Arbeitskultur, wonach 380 Stunden Arbeit im Monat erwartet worden seien – also über 200 Stunden mehr, als europäische Angestellte in der Regel arbeiten.

Die Temu-App ist im Hintergrund stets aktiv

Weiter wurde im April 2023 bekannt, dass die Pinduodu0-App ihre Nutzerinnen und Nutzer ausspionierte. Das fanden Cybersicherheits-Spezialisten im Auftrag von CNN heraus. Als das bekanntwurde, sperrte Google die Pinduoduo-App im Android-App-Store und forderte Nutzerinnen und Nutzer dazu auf, sie zu deinstallieren.

Zwar verlangt Pinduoduo bei der Installation viermal mehr Berechtigungen als das europäische Pendant Temu. Dennoch gibt es Auffälligkeiten bei Temu: ein Technologie-Spezialist des Bayerischen Rundfunks konnte zeigen, dass die App auch dann aktiv ist, wenn sie geschlossen wurde. Was die App macht, ist unklar. Temu schreibt auf Anfrage, ihnen lägen «keine Hinweise darauf vor, dass die App im Hintergrund läuft».

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